Sonntag, 8. Dezember 2024

Vanillearoma for ever. In der Vanille steckt das Vanillin: Vor 150 Jahren gelang die erste Synthese in Holzminden.

 Karl Hübner hat jetzt darüber berichtet:


150 Jahre synthetisches Vanillin

Der Geschmack des

schwarzen Goldes

Karl Hübner

Vanille ist eine der bedeutendsten Geschmacks- und Duftnoten in der Welt der

Lebensmittel und Parfüms. Die wichtigste Aroma-Komponente der Vanille-Scho-

te ist dabei Vanillin  1874 wurde zum ersten Mal ein chemischer

Syntheseweg für diese Substanz patentiert. Bis heute hat die Herstellung von

Vanillin große industrielle Bedeutung. Die Syntheserouten haben sich dabei im

Laufe von 150 Jahren häufig verändert.


Das Vanille-Aroma begegnet uns in zahlreichen Produk-

ten. Es findet sich in Eiscreme, Backwaren, Schokolade,

Rooibos-Tee und auch in Parfüms und Kosmetikarti-

keln . Sogar in vielen Medikamenten spielt es

eine Rolle und dient dort dazu, den bitteren Geschmack

anderer Inhaltsstoffe zu überdecken. Industrieschätzungen

zufolge soll es weltweit über 18.000 Produkte geben, die

das Vanille-Aroma enthalten.

Die süßliche Note stammt ursprünglich aus den Kapsel-

früchten der Vanille, einer Gattung innerhalb der Orchideen. Die sowohl in Sachen Menge als auch

Aromabeitrag wichtigste Komponente dieser Schoten ist

das Vanillin, eigentlich 4-Hydroxy-3-methoxybenzaldehyd.

Heute werden weit über 95 Prozent des industriell verarbeiteten

Vanillins nicht aus den Schoten extrahiert, son-

dern synthetisch gewonnen.







.Viele Produkte enthalten das Vanille-Aroma, häufig in Gestalt des wichtigsten Aromabestandteils Vanillin. So ist

­ Vanillin-Zucker eine günstigere Alternative zum Vanille-Zucker. Auch bei der beliebten Speiseeissorte Vanille ersetzen

­ Hersteller den natürlichen Vanille-Extrakt mitunter durch synthetisches Vanillin. Beim legendären Chanel No

5 gehört Vanillin

zu den 31 Komponenten der Urrezeptur und ist bis heute Bestandteil der Basisnote. (©: Dr. Oetker, arz, über Wikimedia Commons,

Steven Depolo, über Wikimedia Commons)

2 Chem. Unserer Zeit Online-Ausgabe unter:

wileyonlinelibrary.com

© 2024 Wiley-VCH GmbH


Der Erste, der einen solchen Syn-

theseweg fand, war Wilhelm Haar-

mann aus dem kleinen

Städtchen Holzminden an der Weser.

Und nach Björn Bernhard Kuhses

Buch über den Chemiker Haarmann,

Der Herr der Düfte, könnte dessen

Begeisterung für die liebliche Ge-

schmacksrichtung schon in der frü-

hen Kindheit geweckt worden sein.

„Ich höre die Engelein pfeifen“, lässt

Kuhse den noch kleinen Wilhelm

­ jedenfalls sagen, als dieser bei seiner

Großmutter zum ersten Mal einen

Vanille-Pudding probieren darf [2].

Vorher hatte er zugesehen, wie die

Oma die geschmacksgebende Zutat

aus einer „seidenglänzenden, dunkel-

braunen Frucht“ gewann, die sie „vor-

sichtig aus einem Glasgefäß nahm“. Das sei „eine Vanille-

Schote aus Mexiko“, so die Großmutter bedeutungsvoll.

Ob der junge Wilhelm wirklich die Engelein pfeifen

hörte, ist fraglich. Kuhse nennt sein Buch ein „fiktionales

Werk“. Diesen Wissenschaftsroman erzählt er allerdings mit

realen Figuren und hat ihn in einen historisch verbürgten

Rahmen eingebettet – und den hat er gut und intensiv re-

cherchiert. Schon einige Jahre zuvor veröffentlichte ­ Kuhse

zum selben Thema das Sachbuch Wilhelm Haarmann auf

den Spuren der Vanille [3] sowie seine Dissertation Vanil-

lin – Historie und Schulrelevanz [4]. Letztere ist insofern

bemerkenswert, als Kuhse sie mit bereits über 70 Jahren

vorlegte. Der ehemalige Chemielehrer und Studiendirektor

hatte erst nach seinem Ruhestand im Jahr 2002 damit be-

gonnen, sich der Geschichte dieser ersten Synthese eines

Aromastoffs zu widmen. „Ich wollte mich mit etwas beschäf-

tigen, das auch einen regionalen Bezug hat“, sagt der inzwi-

schen 86-jährige Kuhse. Und so war er auf den Vanillin-Pionier

Wilhelm Haarmann aus Holzminden gestoßen, das

zwar in einem anderen Bundesland, aber trotzdem nicht

weit weg von Kuhses Heimat Halle in Westfalen liegt.

Ob Haarmanns Vanille-Faszination durch die Großmut-

ter geweckt wurde, ist also ungewiss. Klar ist dagegen, dass

man diesen Geschmack zu jener Zeit, Haarmann wurde

1847 geboren, nur durch Verarbeitung von natürlichen

Vanille-Schoten erzeugen konnte. Die waren eine Rarität

und entsprechend teuer. Das galt dann auch für das daraus

extrahierte Vanillin, das rund zwei Prozent des Schotengewichts

ausmacht. „Vanillin war wertvoller als Gold“,

schreibt Kuhse in seiner Dissertation. 1875 habe ein Gramm

bis zu zehn Reichsmark gekostet, ein Gramm Feingold

­ dagegen weniger als drei Mark. Bis heute gilt Vanille als

Königin der Gewürze oder auch als Schwarzes Gold.

Die Substanz im Labor herzustellen, war also eine loh-

nenswerte Aufgabe. In chemischer Hinsicht aber auch eine

Herausforderung. Zwar war die Summenformel mit C8H8O3

schon bekannt, aber wie das Molekül genau aussah, lag

 Wilhelm Haarmann (1847–1931),

etwa 1921

noch im Dunkeln. In den frühen

1870er-Jahren begann Wilhelm Haar-

mann, sich der Thematik zu wid-

men, – gemeinsam mit seinem Kom-

militonen und Freund Ferdinand Tie-

mann. Beide waren 1869 von Clausthal

beziehungsweise Braunschweig nach

Berlin gewechselt, um ihr Chemiestu-

dium bei August Wilhelm Hofmann

fortzusetzen, einem der führenden

deutschen Chemiker jener Zeit (über

den Kuhse inzwischen auch ein Buch

geschrieben hat). Dass sich Haarmann

und Tiemann dort überhaupt mit Va-

nillin beschäftigten, hatte freilich eine

Vorgeschichte jenseits des Vanille-

Puddings aus Haarmanns Kindheit.

Die beginnt damit, dass ein Forst-

rat namens Theodor Hartig im soge-

nannten Kambialsaft von Lärchen und später auch Fichten

eine kristallisierende Substanz findet, die er zunächst Lari-

cin und dann Abietin nennt. Weil Hartig auch am Collegium

Carolinum in Braunschweig lehrt, setzt er dort Mitte der

1860er-Jahre den Chemie- und Pharmazie-Studenten Wil-

helm Kubel darauf an, die Substanz genauer zu untersu-

chen. Dieser wird sie, in Absprache mit Hartig, schon bald

in Coniferin umbenennen, nachdem sich zeigt, dass sie in

allen Nadelhölzern (Koniferen, wörtlich: Zapfenträger) vor-

kommt und der Name Abietin ohnehin schon anderweitig

vergeben ist.„Höchst angenehmer Vanillegeruch“ aus

dem Wald.

Es ist aber mühsam, an das Coniferin zu gelangen. Die

­ Bäume müssen während der Holzbildungsphase gefällt und

dann entrindet werden. Kubel beschreibt, wie das dann freiliegende

Kambium mit Glasscherben vom darunterliegen-

den Holz abgeschabt und danach ausgepresst wird. Die

erhaltene, trübe Flüssigkeit wird gekocht, filtriert und da-

nach eingedampft, bis sich Coniferin „in zarten spiessför-

migen Krystallen abscheidet“, wie Kubel 1866 in einem

Aufsatz über die Substanz ausführt [5]. Der angehende Pha­ rmazeut

versucht, die Substanz genauer zu charakterisieren

und erkennt aufgrund einer Zucker-Abspaltung ihren glucosidischen

Charakter. Worum es sich beim Rest des Moleküls

handelt, bleibt ihm allerdings verborgen. Doch er erwähnt

noch den „höchst angenehmen Vanillegeruch“, der sich

entwickelt, wenn man eine wässrige Coniferin-Lösung mit

verdünnten Säuren kocht. Über die Elementaranalyse findet

Kubel, dass Coniferin (Formel s. Abbildung 4) Kohlenstoff,

Wasserstoff und Sauerstoff enthält. Allerdings schätzt er die

Zusammensetzung mit C24H32O12 noch falsch ab und gibt

die Arbeiten schließlich ganz auf. So kommen Wilhelm

Haarmann und Ferdinand Tiemann ins Spiel, die der Sache

in Berlin nachgehen, nachdem sie von ihrer Teilnahme am

deutsch-französischen Krieg zurückgekehrt sind.






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